Geschichte der Störche in Leteln



Die Weißstörche sind streng geschützt und stehen trotz umfangreicher Maßnahmen zur Erhaltung und Erholung der Bestände immer noch auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten. Die Störche sind Kulturfolger und gelten bei den Menschen als Glücksbringer. In der Sagen- und Legendenwelt und auch in der Volkskunde fanden sie einen vielfältigen Niederschlag. Sie werden Adebar oder Freund Adebar (plattdeutsch Äbähr") genannt und stehen im Ruf die kleinen Kinder zu bringen. In den traditionellen Märchen spielen die Störche keine große Rolle. In Kunstmärchen aber scheinen sie die Phantasie der Autoren angeregt zu haben. In "Die Geschichte vom Kalif Storch", die Wilhelm Hauff in seinem "Märchen Almanach auf das Jahr 1826" herausbrachte, werden die Hauptprotagonisten durch eine List in Störche verwandelt. Mit seinem Märchen "Die Störche" brachte Hans Christian Andersen Popularität in die Geschichte, dass die Störche die Säuglinge bringen. Es beginnt: "Auf dem letzten Haus eines kleinen Dörfchens befand sich ein Storchennest…"

"Vom Storchendorf zur Vorstadt" heißt das kurze Kapitel, das Alfons R. Bense [Bense 2000] in seinem Buch "Altes Storchenland" über Leteln geschrieben hat. Die Zukunft es Weißstorches in Leteln wird mit der Überschrift mehr als deutlich gemacht. Störche und dichte Besiedlung schließen sich aber nicht aus. In der Stadt Minden muss es wenigstens 1664 am Scharn einen Storchenhorst gegeben haben, wie eine Zeichnung aus dem Jahr deutlich zeigt [Linnemeier 1995]. Nachweise über den Weißstorch in Leteln für die Zeit vor 1900 wurden bisher nicht gefunden. Sicher kann man nicht ausschließen, dass auch in Leteln Störche gebrütet haben, die mit den Weserwiesen und der damals noch unregulierten Weser, den Inseln und Anschwemmungen einen idealen Naturraum vorgefunden haben.
Karoline Beuke geb. Korte (1903 - 2000) berichtete aus ihrer Kindheit, dass von etwa 1907 an für einige Jahre Störche auf einer Kopfweide vor ihrem Elternhaus in Leteln Nr. 13, jetzt im Gang 5, gebrütet haben. Die Bäume waren nur etwa vier bis 5 Meter hoch. Später haben in Leteln keine Störche mehr gebrütet. Sie kehrten erst 1968 zurück. Ein Paar begann spontan mit dem Bau eines Horstes auf dem Hof Steinmeier Nr. 10 (jetzt Letelner Str. 107, 1972 abgebrochen). Die Störche akzeptierten ein Wagenrad als schnell bereit gestellte Nisthilfe. Eine Freude für die Einwohner und auch die Schulkinder und Lehrer, die vor dem Hof eine lehrreiche Unterrichtsstunde abhielten. Bis dahin wurde, natürlich zu Fuß, im Frühsommer ein Ausflug nach Wietersheim gemacht, wo die Störche auf dem Hof Schönbeck Nr. 1, jetzt Lange Straße 4, brüteten [Bense 2000]. Am Storchenhorst in Wietersheim erklärte dann der Lehrer oder die Lehrerin, wovon der Storch sich ernährt und die Schulkinder beobachteten, was die Altvögel zur Fütterung der Jungtiere heranschafften. Hin und wieder sah man im Schnabel des heranfliegenden Storches auch den "Zappelsalat", wie die Frösche vom Lehrer scherzhaft genannt wurden. Besondere Freude bereitete den Kindern wenn sich die Störche laut klappernd begrüßten. Im Leteln gab es leider keinen Nachwuchs zu beobachten.
Die Störche kehrten auch im folgenden Jahr nach Leteln zurück, aber es kam, wie schon im Jahr zuvor, zu keiner Brut und der Horst wurde 1971 nur noch von einem Storch besucht. [Bense 2000]
Wegen des geplanten Abbruchs des Fachwerkhaupthauses auf dem Hof Steinmeier Nr. 10 wurde die Nisthilfe auf den Nachbarhof Nr. 6, Letelner Str. 103 umgesetzt. Die Störche besuchten den Horst zwar, aber ließen sich nicht in Leteln nieder. Als 1974 das Dach des Hauses neu eingedeckt wurde, entfernte man auch die Nisthilfe.
Seit dem wurde Freund Adebar nur gelegentlich als Gast im Dorf gesichtet, so 1995 drei Störche auf dem Kirchturm der Letelner St. Markus Kirche [MT 1995].
In letzter Zeit rasteten auch hin und wieder Störche auf dem Hof Nr. 4, Letelner Straße 111, ohne Anstalten für einen dauerhaften Aufenthalt zu machen.
Vor etwa 20 Jahren wurde durch den Eigentümer des Hauses Nr. 13, Im Gang 5, bei Herrn Dr. Bense vom Aktionskommittee "Rettet die Weißstörche im Kreis Minden-Lübbecke e.V." angefragt, ob die Aufstellung einer Nisthilfe auf dem alten Storchenstandort Leteln Nr. 13 Aussicht auf Erfolg hätte. Dr. Bense erklärte, dass trotz der erfolgreichen Wiederansiedlung des Weißstorches in der Weseraue der Populationsdruck noch nicht groß genug wäre, um in naher Zukunft Störche in Leteln anzusiedeln. Um so erfreulicher ist, dass es die Letelner Storchengeschichte doch eine Fortsetzung zu finden scheint.
Auf Initiative und mit tatkräftiger Unterstützung des Heimatvereines wurde im Frühjahr 2020 eine aus Spendengeldern finanzierte Nisthilfe hinter der Schule auf dem Gelände des Hofes Nr. 22 "Prangen", jetzt Große Trift 48, aufgestellt. Eine Belohnung für die vielen Beteiligten war es, dass die Nisthilfe am 30. März 2021 von einem Storchenpaar angenommen wurde. Es gab bereits mehrere Interessenten und in der Wiese hinter dem ehemaligen Hof Steinmeier Nr. 10 kam es zu Rangeleien zwischen zwei Männchen. Alle Letelner freuen sich und hoffen, dass die Störche in Leteln bleiben und erfolgreich brüten.


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Leteln Nr. 13, Im Gang 5, Vierständerhaus 1894 erbaut von Karl Becker und Karoline geb. Branahl. Hier ist der erste nachgewiesene Storchenstandort in Leteln, wo die Störche von etwa 1907 einige Jahre in einer Kopfweide vor dem Haus brüteten.


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Hof Steinmeier Nr. 10 kurz vor dem Abbruch 1972. Das Haus wurde am 29. Mai 1868 von als Vierständerhaus von Heinrich Christian Bakemeier und Marie Christine geb. Steinmeier erbaut. Der Storchenhorst auf dem Dach war Ende der 1960er Jahre besetzt, allerdings ohne erfolgreiche Brut.


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Hof Rommelmann Nr. 6, Letelner Str. 103. Die Nisthilfe für den Weißstorch zog 1971 vom Nachbarhof hierher um, wurde aber nicht mehr angenommen.


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Die Ruhe vor dem "Sturm" am 31. März 2021. Zwei Männchen und ein Weibchen auf der Wiese hinter dem ehemaligen Hof Steinmeier Nr.10 kurz vor der Auseinandersetzung.


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Störche auf der Nisthilfe hinter der Letelner Schule am 31. März 2021.



Literatur:
  • Bense 2000: Alfons R. Bense, Altes Storchenland an Weser Bastau und Dümmer, Hüllhorst 2000
  • Linnemeier 1995: Bernd-Wilhelm Linnemeier, Der Bischöfliche Hof zu Minden, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins, Jahrgang 67, 1995, S. 9-42
  • Mindener Tageblatt, Störche machten Station auf dem Turm der Letelner Kirche, Nr. 220 vom 21.09.1995, S. 7

© für alle Fotos: Jürgen Sturma, Minden