Tracht in Leteln


Bis zum ersten Weltkrieg wurde in Leteln von der Mehrzahl der bäuerlichen Bevölkerung die traditionelle Kleidung, die so genannte Friller Tracht getragen. Vereinzelt trugen die Frauen diese Kleidung noch bis nach dem 2. Weltkrieg. Die Nähe der Stadt Minden, der Zuzug „Andersgekleideter“ und die sonntäglichen Besuche der Gottesdienste in der St. Marienkirche in Minden rückten die Trachtenträger mehr und mehr in eine Außenseiterposition und begünstigten das Ablegen der Tracht, von der sich nur wenige Stücke in den Truhen und Schränken der Letelner erhalten haben. Die Mode des Empire hatte in der Friller Tracht einen starken Niederschlag gefunden und so trugen Männer wie Frauen die Taille der Kleidungsstücke über der Brust. Die Westen der Männer waren lächerlich kurz, ebenso wie die Jacken und Wämser der Frauen. Für den gewöhnlichen Sonntag trugen die Männer einen weißem Kittel aus feinstem Leinen mit einem roten Wollfutter, zum Abendmahl trug der Bauer einen Rock aus schwarzem Wolltuch mit einem roten Futter und einer Vielzahl umsponnener Knöpfe. Eine lange Tuchhose, ein Hemd mit einem Stehkragen und ein kleines buntseidenes Halstuch ergänzten die Kleidung. Während Sonntags die Fellmütze aus Iltis, Marder oder Fuchsfell genügte, wurde zum Abendmahl ein flacher Filzhut mit breiter Krempe betragen. Das daran befindliche breite Samtband wurde von einer vergoldeten Filigranschließe zusammengehalten und fiel vom Hut auf die Schulter. Die Weste hatte je nach Anlass verschieden farbige Punkte oder Streublümchen, meist farbige Knopflöcher und bunte umsponnene Knöpfe, mit denen so viel Staat wie möglich getrieben wurde.

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Zwei Mädchen in Friller Tracht um 1900

Die Frauen trugen, wie man auf den nebenstehenden alten kolorierten Fotografien sehen kann, einen langen roten Tuchrock, der für den Kirchgang immer von bester Qualität war. Der rote Rock hatte ein tiefblaues Saumband, auch in Trauerzeiten. Die lange Seidenschürze wurde mit einem Queder über der Brust befestigt und dem Anlass entsprechend farblich angepasst. Die Jacke mit den bandbesetzten Ärmeln und der so genannte Binnewams, eine kleine Weste mit langen Schmuckbändern, wurden unter dem ausgestickten Tuch getragen. Das Halstuch lag auf dem plissierten Kragen. Eigenartig war die Mütze der Friller Frauen und Mädchen. Sie hatte einen Besatz aus Seidenband der zwei tütenartige Falten auf dem Kopf bildete. Zwei ähnliche Falten, die von einem Samtband, dem so genannten Bindken, gebildet wurden, saßen zu beiden Seiten. Zum Abendmahl wurde neben dem schwarzen Tuchrock und andern schwarzen Ausstattungsstücken ein weißer doppelter Kragen, ein weißes schlichtes Tuch, ein farblich angemessenes Halstuch und von den Mädchen eine blaue Mütze und eine weiße Schürze getragen, von den Frauen eine schwarze Mütze und Schürze. Die Tracht war nie eine starre, unwandelbare Kleidung, sondern hatte eine eigene Dynamik ihrer modischen Entwicklungen und Wertschätzungen. Bis zum vollkommenen Niedergang der Tracht hatte sich die Kleidung in wesentlichen Teilen immer wieder verändert. Einige Kleidungsstücke oder Materialien wurden als unmodern angesehen und durch andere Entwicklungen ersetzt, wobei wirtschaftliche Sicherheit und Verfügbarkeit von Material eine große Rolle spielten. Einen großen Entwicklungsschub hat die Friller Tracht in der Zeit des Empire gehabt und zwischen 1890 und 1910. Diese letzte Periode kann als die Blütezeit der Tracht in Leteln angesehen werden.

Heute befindet sich die als Tracht bezeichnete Kleidung in einem Spannungsfeld zwischen Volkskunde, historischer Authentizität und den Trachten- und Heimatvereinen. Im Umgang mit den Phänomen Tracht fehlt es oft an einer intensiven Grundlagenforschung vor Ort, der Inventarisierung der von den unterschiedlichen Vereinen gesammelten Objekte und einer sensiblen Auseinandersetzung mit einer veränderten Tracht als zeitgenössischer Kleidung oder dem Tragen der Tracht als authentisches Erkennungsmerkmal der Region oder der Dörfer. Das ist in vielen Fällen auf die mangelnde Grundlagenforschung zurück zu führen.

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Paar aus Leteln in Friller Abendmahlstracht für Freudenzeit aus der Zeit um 1900, das Mädchen in der Kleidung für Unverheiratete.


© für alle Fotos: Jürgen Sturma, Minden